Sprachmaschine 1981 9 Polyesterplatten, 5 bedruckte Computerbahnen à 660 Blatt mit Textvariationen Platten je 125 x 125 cm, Computerbahnen insgesamt 1 km
Ohne Titel 1989 Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek Tusche auf Papier und C-Print, auf Aluminium kaschiert (10 Teile) 251 x 1154 cm
Geburt der Venus 1987 Tusche auf Papier und C-Print, auf Aluminium kaschiert (10 Teile) 241,5 x 486 cm Privatbesitz
Zeichnung grosse
Grosse Zeichnung 1991 Kunstmuseum Luzern Chinatusche in Polyester 400 x 2800 cm Besitz: Schweizerische Eidgenossenschaft, Depositum im Kunstmuseum Luzern
Kunstmuseum des Kanton Thurgau Kartause Ittingen  2007 /08
Kunstmuseum Luzern  200x
Furz 1984 Rauminstallation mit Polyesterplatten, Stahl, Acrylfarbe, Lackfarbe, deckenhohe Abstützung 250 x 600 cm
FURZ
Im direkten Vergleich mit der Fotografie oder einem skulpturalen Objekt erforscht Christoph Rütimann, was die Zeichnung als künstlerisches Medium zu leisten vermag. Er integriert in die grossformatige Zeichnung Geburt der Venus von 1987 zwei vergrösserte Polaroids. Sie zeigen den Oberkörper einer Venus-Skulptur aus leicht verändertem Blickwinkel. Dadurch wird ein räumlicher Eindruck erzeugt, als würde man um die Skulptur herumgehen. Der fotografierte Marmor nimmt eine fleischige Farbe an und wirkt wie Haut, worauf sich der Titel bezieht: Die Venus wird aus Stein geschaffen und im Polaroid neu geboren. Zu ihrer Linken und Rechten ist Venus von schwungvollen Linien umgeben, die sich stellenweise verdichten. Der Gegensatz zwischen der fotografierten Skulptur und der gezeichneten Umgebung ist gross. Rütimann bringt zwei Darstellungsmodi zusammen, die nach einer je anderen Rezeption verlangen und den Betrachter damit vor eine Herausforderung stellen. Der Künstler konfrontiert die abbildende Fotografie mit der freien Zeichnung, die keinen Realitätsanspruch hat, sondern eine eigene Welt erschafft. Das wandfüllende Werk Ohne Titel von 1989 im Louisiana Museum stellte eine mehrteilige Zeichnung und drei Fotografien gleichwertig nebeneinander. Auf den ersten beiden Aufnahmen beobachtet der Betrachter zwischen Bäumen hindurch eine Frau, die auf einem Tuch kauert und liest. Zwischen der zweiten und dritten Aufnahme klafft eine Lücke, die einem Sprung in der Erzählung entspricht. Auf einmal sitzt eine schwarze Frau auf dem Tuch, das ihr die weisse Frau unter dem Hintern wegzieht. Die Fotografien erscheinen wie dem Filmfluss entrissene Filmstills. Die Zeichnung vermag zwar den Abstand zwischen den Fotografien zu überbrücken. Sie schlägt Bögen und zieht weit ausholende Linien, die den Blick in Leserichtung vorantreiben, trägt aber nichts zur Aufklärung des Geschehens bei.
GROSSE ZEICHNUNG (SCHWEIF)

Die Komposition in Amsterdam ist anders angelegt als jene in Luzern. Sie ergiesst sich nicht als gerichteter Strom, bildet keinen Ereignisstrang. Die Elemente verteilen sich gleichmässig über das Papier, breiten sich nach allen Seiten aus – wie ein «All-over». Sie sind als «endlose Möglichkeit von Übergängen » gedacht, wie der Künstler sagt, und bilden ein beliebig fortsetzbares Muster. Das untere Ende der Papierbögen liegt auf dem Boden auf und rollt sich zusammen, wo sich die Zeichnung eigentlich fortsetzt. Rütimann hat nicht den Anspruch, einen Überblick zu geben. Er zeigt einen Ausschnitt aus einem grösseren Zusammenhang. Das gilt auch für den Luzerner Schweif, der weder einen Anfang noch ein Ende hat.

Die Riesenformate bewältigt der Künstler auf dem Boden. Mit gefundenen und gekauften Federn zeichnet er über jeweils sechs ausgerollte Papierbahnen, zieht Linien im Gehen und kritzelt auf den Knien. Sein Repertoire reicht von der ausholenden Armbewegung bis zur Fingerübung. Die Amsterdamer Zeichnung führte er direkt auf Büttenpapier aus, für jene in Luzern fertigte er einen kleinformatigeren Entwurf, den er mehrfach überarbeitete. Diesen druckte er im Massstab 1:1 als Landkarte, ergänzt mit einem Index von Zsuzsanna Gahse. Wie eine Landkarte bilden auch seine Zeichnungen nur einen Ausschnitt aus einem ganzen Zeichnungskosmos ab.

Ohne Titel 1991 - Stichting De Appel, Amsterdam Tusche auf Büttenpapier (12 gerollte Papierbahnen) Masse variabel
Ohne Titel 1991- Kunstmuseum Bonn 2008  Tusche auf Büttenpapier (12 gerollte Papierbahnen) Masse variabel
© 2013 Christoph Rütimann
Christoph Rütimann
© 2013 Christoph Rütimann
Für Furz von 1984 entnahm Rütimann der Zeitung eine Abbildung der neusten Errungenschaften des CERN, des Europäischen Labors für Teilchenphysik, das in jenem Jahr sein 30-Jahr-Jubiläum feierte. Es handelte sich um die wissenschaftliche Aufzeichnung einer Kollision zweier Teilchen, aus der ein Schwarm neuer Teilchen hervorgeht. Deren Flugbahnen wurden durch einen Strauss von Wirbeln und Spiralen visualisiert, die Strukturen von späteren Zeichnungen vorwegnehmen. Der Künstler vergrösserte die Abbildung auf halbtransparenten Polyesterplatten, betonte einen Winkel mit Metallstegen und setzte seitlich den Begriff Furz in Grossbuchstaben auf die Tafel. Er führte also die ehrgeizige Suche nach der Weltenformel auf eine unbedeutende alltägliche Kleinigkeit zurück. Und er brachte seine Arbeit in Bezug zu jenen Wissenschaften, «denen man heute ein grosses Begründungspotential unterstellt, um die menschlichen Fragen nach dem Woher und Wohin zu beantworten».1 Mit Furz setzte sich Rütimann aber nicht nur mit wissenschaftlichen Darstellungskonventionen auseinander, er war auch auf der Suche nach einer eigenen Form der Zeichnung. Nach seinem Abschluss an der Kunstgewerbeschule Luzern hatte er sich von der Tradition der sogenannten Innerschweizer Innerlichkeit distanziert, welche die Zeichnung als intime Ausdrucksform pflegte. Er mied fortan das Emotionale, tilgte die persönliche Handschrift und sprengte das Kammergenre der Zeichnung mit installativen Eingriffen wie bei Furz oder der Sprachmaschine von 1981, die er – beflügelt vom Erfindergeist eines Leonardo – über neun Polyesterplatten entwarf. Die Sprachmaschine ist von der Ästhetik historischer Entwurfszeichnungen geprägt. Wenn sie von der Imagination des Betrachters betrieben wird, dann springt die Wortkugel aus dem Trichter durch einen Lochtisch in einen Satz hinein. Den Output bilden sechs an die Wand gehängte Computerstreifen, auf denen eigenartige Sätze aufgelistet sind. In jeden wurde nach dem Zufallsprinzip ein Wort eingeschleust. Rütimann wollte keine Poesiemaschine entwerfen, sondern einen Zufallsgenerator erschaffen. In der Zeit, als Heimcomputer aufkamen, brachte er Mechanik und Elektronik, alte und neue Systeme zusammen.
Ein Schweif aus schwarzer Tusche schiesst aus der Decke hervor, ergiesst sich über die Wand und mündet am anderen Ende des Saals in den Boden. Die Grosse Zeichnung, die Christoph Rütimann 1991 für das Kunstmuseum Luzern auf halbtransparenten Polyesterplatten ausgeführt hat, ist ein beeindruckendes Grossformat mit einer Länge von 28 Metern und einer Höhe von 4 Metern. Linien streben auf und stossen nieder, Striche und Kritzeleien wirbeln, sprühen und sprudeln; sie verdichten sich zu Strömen, die von Querläufern gestaut werden; sie fliessen auseinander und verlieren sich, um sich erneut zu Kraftzentren zu ballen. Der Betrachter muss die Zeichnung abschreiten, um sie zu erfassen. Er folgt einem an- und abschwellenden Energiefluss, taucht immer wieder in ihn ein. Man denkt an die Visualisierung von Explosionen, Wasserstrudeln oder Luftwirbeln, an die Darstellung astronomischer Phänomene. Der Künstler hat seine Beschäftigung mit den Naturwissenschaften einfliessen lassen. Die Grosse Zeichnung in Luzern habe er vor einem astrophysikalischen Hintergrund entworfen, sagt Rütimann. Bei der Zeichnung ohne Titel aus demselben Jahr, die er in Amsterdam ausgeführt hat, sei er dagegen von organischen Strukturen ausgegangen. Fäden, Spiralen und Wellenlinien treiben über das Büttenpapier. Daneben kräuseln und büscheln sich feine Linien. Mehrfach taucht die Messmarke eines Mikroskops auf, als würde man auf Strukturen blicken, die von blossem Auge nicht sichtbar sind.
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